Gestern wäre meine Oma Hedwig 100 Jahre alt geworden.
Seit ihrem frühen Tod, sind 46 Jahre vergangen.
Damals ist für mich eine ganze Welt zusammengebrochen.
Ich haderte mit Gott und der Welt. Ich verstand überhaupt nichts und fühlte mich von ihr verlassen. Ein Leben ohne meine geliebte Oma konnte und wollte ich mir einfach nicht vorstellen.
Damals war ich gerade 10 Jahre alt. Stumm, still und völlig erstarrt stand ich vor ihrem aufgebahrten Leichnam. Als Abschiedsgeschenk habe ich ihr mein allerschönstes Sammelbildchen, einen Engel im glitzernden blauen Kleid, in den Sarg gelegt. Der Engel sollte sie beschützen und auf ihrem Weg in den Himmel begleiten.
Meine Oma liebte Kinder über alles, sie konnte so viel Spaß und Freude verbreiten und alle Kinder waren liebend gerne in ihrer Nähe. Daher war es für uns alle schrecklich, aber auch zugleich tröstlich, dass ein kleiner Junge aus dem Dorf, neben ihr in der Leichenhalle aufgebahrt wurde.
Ich habe mir jedes Mal, wenn die Trauer mich völlig aufzulösen drohte, vorgestellt, dass meine Oma sein Schutzengel sei und somit auserkoren war, ihn in den Himmel zu begleiten. Diese Vorstellung konnte meine Trauer, meinen Schmerz und mein Unverständnis etwas lindern.
Ich war ihr erstes Enkelkind und somit für sie etwas ganz besonderes. Sie hat mich immer liebevoll, ihr „erstes Geburtsenkelchen“ genannt. Gegenüber den anderen Enkeln, hatte ich allzeit einen Sonderstatus. Sie schenkte mir eine ganz besondere Aufmerksamkeit, sie war immer für mich da und ich stets in ihrer Nähe.
Mit 5 Jahren sind wir in den Geburtsort meines Vater gezogen, für mich war es die Hölle, wie sollte ich ohne meine Oma leben? Ohne ihre Nähe, ihre Wärme, ihr Verständnis? Mama hat mir später einmal erzählt, dass ich als ganz kleines Kind zu Oma, Mama gesagt habe und zu meiner Mama, Mag. Das war für meine Mama sicher bitter, doch es erklärt auch diese tiefe Liebe und Verbundenheit zu meiner Oma.
Noch heute kann ich sie sehen, riechen und fühlen, sie ist immer bei mir. Sie ist mein ENGEL der mich im Leben begleitet, sie beschützt und behütet mich.
Noch heute spüre ich die Wärme und die Kraft ihre Arme, sie haben mich stets gehalten und getragen, sie war einfach immer präsent.
Noch heute höre ich ihre rauchige Stimme, wenn sie mir am Abend ihre selbst erfundenen Geschichten ins Ohr geflüstert hat. Dabei läuft mir noch heute ein wohliger Schauer über den Rücken und ich fühle mich geborgen, aufgehoben und sicher.
Noch heute, sehe ich ihr warmes, weiches Lächeln und das blitzen ihres Goldzahnes.
Noch heute habe ich ihre Geschenke, die Puppen, den kleinen Pelzkragen, selbst die scheußlichen Strumpfhalter die sie mir mal geschenkt hat. Dafür hätte ich sie damals auf den Mond schießen können, die Dinger haben mir echt Kummer bereitet. Alle Jungs in der Schule hatten es sich zum Spaß gemacht, mir jeden Tag den Rock hochzuheben, um dieses Prachtexemplar zu bestaunen. Nicht zu vergessen die einzigartige rote Unterhose mit den schwarzen Rosen drauf, ein echte Hingucker, aber doch nicht mit 9 Jahren. Das war für mich eine absolute Qual, aber es half alles bitteln und betteln nix, ich musste dieses fürchterliche Teil anziehen.
Noch heute sehe ich meine ersten weißen Lackschuhe mit Absatz vor mir, auch ein Geschenk von ihr. Ich hatte sie mir so sehr gewünscht und natürlich hat mir Oma diesen Wunsch erfüllt. Mit diesen Schuhen bin ich dann regelmäßig am Sonntag in der Kirche ausgerutscht und in die Bank geflogen. Die Sohlen waren so glatt, dass ich immer und überall damit auf dem Hintern gelandet bin. Einmal wurde ich sogar von einem Sportwagen angefahren. Mein Bruder und sein Freund hatten mich gejagt und ich lief so schnell ich mit meinen Absatzschuhen rennen konnte.
Das Auto konnte ich durch die Kurve nicht sehen, ich rutschte aus und lag plötzlich bis zum Hals unter dem Wagen. Da hättet ihr Oma mal in Aktion erleben können. Das war das erste Mal, dass ich sie so völlig unkontrolliert erlebt habe. Anstatt mich zu trösten, denn der Schreck hatte mich fast ohnmächtig gemacht, prügelte und beschimpfte sie mich durch das ganze Dorf.
Mein Opa musste sie beruhigen und mich aus der Schusslinie nehmen, Oma war wie von Sinnen. Ich habe lange gebraucht um zu verstehen, dass sie aus der übergroßen Sorge heraus so gehandelt hatte. Natürlich hat sie sich so in die Vision hinein geschaukelt, dass mir etwas Schlimmeres hätte geschehen können.
Noch heute, tauche ich mit großem Genuss, mein Butterbrötchen in den Kaffee, dass durfte ich nur bei ihr. Mama bekam regelmäßig die Krise, sie fand es einfach nur eklig.
Noch heute erinnere ich mich an unsere geheimen Gespräche, sie malte sich immer meine Hochzeit aus. Feierlich, pompös und mit einem wunderbaren, verständnisvollen Mann an meiner Seite.
Sie freute sich schon auf ihre Urenkelkinder und erzählte mir was sie alles mit ihnen unternehmen wollte. Wie stolz wäre sie auf meine Tochter gewesen, wie sehr hätte sie sie verwöhnt und geliebt. Nach Veras Geburt habe ich mir immer ihr strahlendes Gesicht vorgestellt. Ihr Lächeln und das blitzen ihres Goldzahnes................
Oft erwische ich mich bei der Vorstellung wie mein Leben, mit ihr an meiner Seite, wohl verlaufen wäre. Sicher ganz anders, doch das ist reine Spekulation und tut mir nur im Herzen weh. Ob es besser oder schlechter gelaufen wäre, wer weiß das schon? Es ist wie es ist.....
Es sind die "kleinen Geste der Liebe", die mich immer an dich erinnern werden und dich für mich unsterblich machen.
Liebe Oma, ich danke dir für die 10 Jahre die ich mit dir teilen durfte. Die es mir erlaubten in deinen Armen zu liegen, deine Stimme zu hören und den Duft deiner Haut einzuatmen.
Es ist die Liebe die ich an meine Tochter Vera weitergeben darf und ich wünsche mir von Herzen, einmal so eine wunderbare Oma zu werden, wie du es für mich warst.
Herzlichst Deine Ulla